Biedermeier

Der Name Biedermeier - ursprünglich eine Spottbezeichnung für einen braven, spießigen, biederen Menschen - wurde von A. Kußmaul und L. Eichrodt 1855-57 erstmals für die Lebenshaltung der Epoche des Vormärz verwendet. Sowohl Lebens- und Geistesart als auch Kunst und Kultur der Zeit 1815-48 werden durch diesen Namen charakterisiert. In der Kunstgeschichte hat sich die Bedeutung des Begriffs mehr auf die Innenraumgestaltung eingeengt.
Die Merkmale des Biedermeier sind vielfach "allgemein europäisch, aber doch vor allem im Österreich des Vormärz (Metternich-Zeit) zu finden" (W. Kayser). Hier hielt das Biedermeier in allen Gesellschaftsschichten Einzug, was zu einer sonst kaum erreichten Hochblüte und Stilreinheit führte. Einige bedeutende Künstler dieser Kulturepoche hatten ihren Hauptwirkungsbereich im Piestingtal, was dieser Gegend auch den Beinamen „Biedermeiertal“ bescherte.
Wichtig für das Entstehen des Biedermeier war die Enttäuschung nach der politischen Restauration 1815 und die beinahe völlige Abkehr vom öffentlich-politischen Leben. Nach der Epoche des feierlichen Barock und des gezierten (Quasi-)Rokoko stellt das Biedermeier eine Flucht in eine behagliche Genussfreudigkeit, in eine "heimliche" Weltgeborgenheit, dar. Da das Bürgertum, das zu Geld und Ansehen gelangt war, im Metternichschen Polizeistaat von jeder Einflussnahme auf die Staatsgeschäfte fern gehalten wurde, traten die persönlichen, rein privaten Interessen in den Vordergrund. Wichtiges Anliegen wurde die Gestaltung der Freizeit. Man suchte Vergnügen und Unterhaltung auf der Landpartie, beim Heurigen, im Prater, in Tanzlokalen, im Kaffeehaus und im Theater - nicht zuletzt als Ablenkung vom harten Alltag, der tristen sozialen Lage und der unsicheren politischen Situation.
Große Bedeutung wurde der Pflege von Kunst und Kultur beigemessen, wobei sich das wohlhabende Bürgertum zum wichtigsten Förderer entwickelte. Die Häuser der kunstinteressierten und einflussreichen Mäzene wurden oft zum Treffpunkt von Literaten, Komponisten, Malern und Bildhauern sowie Vertretern aus anderen Bereichen des kulturellen Lebens. Man veranstaltete literarische Zirkel, Konzertabende, Diskussionsrunden und anderes. Zu einem solchen Anlass eingeladen zu werden konnte für einen jungen Künstler das Sprungbrett zum Erfolg bedeuten. Die Dichtung des österreichischen Biedermeier, die Elemente der Klassik und der Romantik aufnahm, war - dem politischen "Jungen Deutschland" bewusst entgegengesetzt - weitgehend unpolitisch und vertrat die Ideale behutsamer Innigkeit, Selbsteinschränkung und Resignation. Das "sanfte Gesetz" der Natur war die Kunstmaxime. Dem Biedermeier verpflichtet waren A. Stifter (theoretische Abhandlung in der Vorrede zu "Bunte Steine": "Das sanfte Gesetz", "Der Nachsommer"), Ferdinand Raimund, F. Grillparzer, E. von Bauernfeld, F. Halm, I. F. Castelli, E. von Feuchtersleben, J. G. Seidl und andere.
Obwohl vor allem die epische Kunst dem Biedermeier wesensgemäß war, erlebte auch das Wiener Theater, das wie ein Ventil für unterdrückte Gedanken wirkte, trotz der strengen Zensur eine neue Blütezeit, die in den Volksstücken von F. Raimund und J. Nestroy ihre Krönung fand. Die Lyrik war durch N. Lenau, A. Grün, J. G. Seidl und F. Stelzhamer vertreten.Auch im Bereich der Musik ging die Rolle des interessierten und fördernden Publikums vom Adel auf das Bürgertum über. 1812 wurde die "Gesellschaft der Musikfreunde" gegründet, später der "Singverein" und die "Singakademie", 1842 die "Wiener Philharmoniker". Die Hausmusik erlebte einen großen Aufschwung, in bürgerlichen Häusern entstanden Quartette und musikalische Zirkel (Schubertiaden). Auch die heitere Musik (Wiener Walzer) strebte einem Höhepunkt zu. Wien entwickelte sich in diesen Jahrzehnten zur klassischen Weltstadt der Musik. Die Malerei des Biedermeier brachte eine Abkehr vom Historienbild des Klassizismus. Man wandte sich stattdessen verstärkt den realen Dingen des täglichen Lebens und der nächsten Umgebung zu.
Zentrale Werte der Malerei wurden die Neigung zum Beschaulichen, das "Getreue" und "Sorgfältige", das "Feine" und "Liebliche". Trotz dieser Grundstimmungen kann man - insbesondere in der Genremalerei - bisweilen aber auch sozialkritische Momente erkennen.
Die teilweise durch das niederländische Sittenbild des 17. Jahrhunderts beeinflusste Genremalerei fand im Biedermeier ihren Höhepunkt. Zu ihren bedeutendsten Vertretern zählten J. Danhauser, P. Fendi, C. Schindler, F. G. Waldmüller (eingeschränkt), J. M. Neder, E. Ritter, Friedrich Gauermann, J. B. Reiter, J. M. Ranftl und F. Treml.
Neben der Genremalerei erlebte auch die Landschaftsdarstellung einen starken Aufschwung. Wanderungen durch die Alpenregionen, die Länder der k. k. Monarchie und nach Italien erfreuten sich bei den Künstlern steigender Beliebtheit. Hierbei entstanden vielfach vor der Natur gemalte realistische Landschaftsporträts, die oft sehr persönliche Blickpunkte zeigen, so zum Beispiel den stillen unberührten Winkel oder die wildromantische, abenteuerliche Stimmung. Die Darstellung von Naturgewalten, von Gewitter und Sturm, Überschwemmungen, Vulkanausbrüchen oder einer Sonnenfinsternis entsprach ebenfalls der romantisierend-naturalistischen Grundhaltung. Die bedeutendsten Landschaftsmaler des Biedermeier waren F. G. Waldmüller, F. Gauermann, J. Höger, F. Steinfeld, R. M. Toma, R. von Alt, T. Ender und A. Stifter.
Die Vorliebe für getreue Naturdarstellung zeigt sich auch in den zahllosen Blumenstillleben (zum Beispiel J. Lauer, J. Nigg, J. Knapp, S. Wegmayr, F. X. Petter) und Herbarien (zum Beispiel M. M. Daffinger, J. Alt) sowie in umfangreichen Serien etwa mit Insektendarstellungen.
Eine besondere Blüte erlebte die Miniaturmalerei auch im Bereich des Porträts (zum Beispiel M. M. Daffinger), das zu einem der wichtigsten Aufgabenbereiche der bildenden Kunst geworden war. Die gestiegene Bedeutung des Bürgertums hatte ein breites Kundenfeld mit großem Nachholbedarf eröffnet. Beliebt waren Einzel- und Gruppen- bzw. Familienbildnisse von F. G. Waldmüller, F. von Amerling, J. N. Ender, A. Einsle, M. M. Daffinger, F. Eybl, L. Kupelwieser, J. P. Krafft und J. Kriehuber. Das Aufkommen der Fotografie um die Mitte des 19. Jahrhunderts schränkte die Auftragslage für Porträts stark ein. Große Bedeutung für die Vervielfältigung von Bildvorlagen hatte die Entwicklung der Lithographie. In Wien wurden innerhalb weniger Jahre mehrere bedeutende Kunstdruck- und -verlagsanstalten gegründet, die sich vor allem der Herausgabe von dokumentarischen Serien widmeten, wie zum Beispiel topographischen Landschaftsreihen, naturkundlichen Mappenwerken, Berufsdarstellungen, humoristischen Szenen sowie Mode- und Porträtserien.
Die Bildhauerei des Biedermeier spielte eine eher untergeordnete Rolle. Die wenigen entstandenen Großplastiken verraten meist weiche, mitunter auch trockene Modellierung. Nennenswert ist die Kleinplastik in Form von Nipp- und bemalten Porzellanfiguren.
Das kunstgewerbliche Schaffen dieser Zeit besitzt auch in der Gestaltung von Glas größte Bedeutung. Bemalte, geätzte und geschliffene Gläser, Becher mit Perlenstickerei und Widmungssprüchen waren beliebte Geschenke, Andenken und Souvenirs. Zu den bedeutendsten Glaskünstlern des Biedermeier zählten G. S. Mohn, A. Kothgasser und J. J. Mildner.
In der Baukunst hatte bereits das späte 18. Jahrhundert die geschmackvolle Schlichtheit des Biedermeierwohnhauses vorbereitet. Die Wohnung war der wichtigste Bereich der Biedermeierkultur. Möbel und Einrichtungsgegenstände wurden praktisch, schlicht und formschön gestaltet. Die klare, sanft geschwungene Linie des Möbels wurde durch geblümte und gestreifte Stoffe und Tapeten weiter akzentuiert. Vereinzelt wurden Möbel, zum Beispiel Bugholzmöbel von M. Thonet, schon für die Massenproduktion entwickelt.
Diese spezifisch österreichische Wohnkultur wurde um die Jahrhundertwende wieder entdeckt. Insbesondere im Bereich der Architektur und des Kunstgewerbes ist daher parallel zum Jugendstil und der Wiener Secession eine Periode des Neobiedermeier festzustellen, die bis zirka 1918 andauerte und deren Ziele zum Teil durch den Österreichischen Werkbund weiterverfolgt wurden.
Eine Rückbesinnung auf die persönlichen Werte (etwa der Familie oder des gemütlichen Heims) und eine "neue Bescheidenheit", haben die Biedermeierzeit auch in den letzten Jahrzehnten wieder zur "guten, alten Zeit" schlechthin werden lassen.

 

Friedrich Gauermann

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